Klimaschutz? – Es geht um die Wurst

Veröffentlicht 31. Januar 2021

Münster tut zu wenig auf dem Gebiet der Ernährung, um Münster bis 2030 klimaneutral zu machen und den Ratsbeschluss des Bündnisses „Klimaentscheid“ umzusetzen. Vergangenen August wurde dieser auf Antrag von ÖDP, Piraten und Linken gegen die Stimmen von CDU, FDP und AfD vom Rat der Stadt verabschiedet. Ein großer Erfolg. Doch der Blick auf die Zahlen zeigt: Das Ganze ist nur umzusetzen, wenn wir alle unsere Ernährung grundsätzlich umstellen

Endlich ein Ende der Mogelpackungen – Dutzende Menschen fielen sich in die Arme, sangen, jubelten. Sie feierten am letzten Freitag im August einen wichtigen Etappensieg und eine Belohnung für die Proteste, die viele von ihnen Woche für Woche freitags auf die Straße getrieben hatten. Sie feierten auch, dass die Erkenntnisse, die sie schon lange bewegen, nun mehrheitsfähig sind. Das Stadtparlament stimmte einem Antrag von ÖDP, Piraten und Linke zu. Doch was heißt  das nun praktisch? Der Antrag nennt viele Maßnahmen, von denen manche speziell auf Münster zugeschnitten sind. Doch an einem Punkt ist Münster wie alle Städte und Landkreise: Ohne eine massive Reduktion des Fleischkonsums – eigentlich des Konsums aller tierischen Produkte – ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Denn ein Drittel der weltweiten Emissionen entfällt direkt auf die Ernährung. Die Klimabilanz eines Steaks, aber auch eines Hähnchenschenkels oder eines Kakaos aus Kuhmilch ist deutlich schlechter als bisher angenommen. Die Gründe dafür sind komplex, wie einige Beispiele zeigen.

  1. Für den Anbau von Tierfutter wird Regenwald abgeholzt

Es ist allgemein bekannt, dass die Tierhaltung selbst zu Emissionen führt. Daher gerät gerade die Rinderzucht unter Beschuss, weil Wiederkäuer Methan produzieren. Dazu weiter unten mehr. Weniger bekannt hingegen ist, dass auch Geflügel und Schweine „Klimakiller“ sind. Denn das meiste weltweit angebaute Soja geht in ihre Futtertröge. Kühe hingegen können – zumindest teilweise – auch durch Grünfutter ernährt werden. Bei Hühnern und Schweinen ist das zwar möglich, wird aber fast nie gemacht. Wollte man das Futter für alle in Deutschland gezüchteten Tiere im Land anbauen, müsste man eine Fläche so groß wie ganz Rheinland-Pfalz zu Ackerland erklären. (1) Da das unmöglich ist, gehört Deutschland zu den fünf größten Sojaimporteuren. Damit produzieren wir gleich auf verschiedene Weisen indirekt CO2. Einmal können Bäume, die für den Sojaanbau abgeholzt werden, das CO2 nicht mehr speichern. Aber auch die Bäume, die noch nicht abgeholzt wurden, sind betroffen. Sie stehen am neuen „Rand“ des immer kleiner werdenden Regenwaldes. Dort geht es ihnen ähnlich wie Menschen am Rand einer Gesellschaft „Sie stehen unter Stress“, sagt eine Untersuchung vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). (2) Die Pflanzen sind stärker der Witterung ausgesetzt, Böden trocknen bei Wind schneller aus und werden bei Regen unterspült. Die Folge: Die Urwaldriesen speichern weniger CO2. Im brasilianischen Küstentropenwald Mata Atlântica liegen 46 Prozent der Bäume in diesen Randlagen. Wegen des dort stark veränderten Mikroklimas werden in zehn Jahren mehr als 68 Millionen Tonnen Kohlenstoff weniger gespeichert. Nur ein sofortiger Stopp sämtlicher Abholzung könnte diesen Prozess zumindest verlangsamen. Selbstverständlich müsste dazu nicht nur der Anbau von Soja enden. Aber er ist ein wichtiger Faktor, ebenso wie die Tierhaltung selbst, die auf den durch Rodung entstehenden Weideflächen stattfindet.

Zum anderen wird das Futter aus Südamerika nach Europa transportiert, was erneut CO2 ausstößt. Tragisch ist dabei, dass die Regenwaldabholzung aktuell auf einen „Kipp-Punkt“ zuläuft. Wenn sie auf dem aktuellen Niveau bleibt, so kann der Urwald schon 2021 nicht mehr genug Regen produzieren, um sich selbst zu erhalten. Er stirbt unwiderruflich ab und setzt so geradezu eine Kohlenstoffbombe frei. Insgesamt bindet der Amazonas aktuell 60 bis 80 Milliarden Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2). Nichts auf dieser Welt kann diesen Speicher ersetzen. (3)

3. Rinderhaltung produziert nicht nur CO2, sondern auch Methan und Lachgas

In deutschen Ställen werden derzeit rund 11,7 Millionen Rinder gehalten. Diese tragen aus den gleichen Gründen zur Produktion von CO2 bei wie alle anderen Nutztiere: Sie fressen Grünzeug, das großflächig angebaut werden muss. Doch, wo Gras wächst, stehen dann zum Beispiel keine Wälder, die das Kohlendioxid binden. Doch Kühe stoßen auch Methan aus – ein Gas, das noch 25 Mal so schädlich ist wie CO2. Zudem produzieren sie Gülle. Kommt diese auf die Ackerflächen, entsteht Lachgas – ein Stoff, der unvorstellbare 300 Mal so schädlich für das Klima ist wie das vieldiskutierte CO2. (4) Diese komplexen Zusammenhänge werden nur selten bedacht, wenn Wissenschaftler*innen berechnen, wie viel klimaschädliche Emissionen sich durch den Verzicht auf Fleisch einsparen lassen. Das hat weitreichende Folgen: Bedenkt man nur den tatsächlichen Ausstoß einer Kuh an Methan, so „produziert“ ein Kilo Rindfleisch ungefähr ein Äquivalent rund 13 Kilogramm des schädlichen Klimagases. Berücksichtigt man jedoch den Kreislauf von der Produktion des Futters, über die Haltung bis zur Entsorgung der Gülle so verursacht ein Kilo Rindfleisch den Gegenwert von 36 Kilogramm Kohlendioxid. Zum Vergleich: Das sind ungefähr so viel, wie bei 250 km Autofahrt entstehen. Wird das Rundfleisch gar importiert, verschlechtert sich die Bilanz erneut: Der CO2-Ausstoss entspricht dann einer Autofahrt von Münster bis nach Neapel. (6) Nebenbei: Die Bilanz eines Liters Milch ist auch nicht wesentlich besser. Er liegt bei 1,3 Kilogramm CO2, was zum Beispiel Butter zum klimaschädlichsten Nahrungsmittel überhaupt macht. (4)

4. Die Fleischproduktion ist extrem ineffizient.

Die obenstehenden Beispiele zeigen: Für die Herstellung eines Rinderbratens oder Grillhähnchens braucht man enorme Mengen an Fläche, Wasser, und Energie. Würde man diese Ressourcen in die Produktion pflanzlicher Lebensmittel stecken, so ließen sich – je nach Rechenbeispiel – viele hundert Kilo Nahrung produzieren. Das bedeutet aber auch: Jedwede Verringerung des Fleischkonsums hat Auswirkungen auf den CO2-Ausstoß, die sich nur schwierig durch andere Maßnahmen erreichen lassen. Ein paar weitere Rechenbeispiele zeigen dies: Im Jahr 2017 konsumierte jede*r Deutsche im Schnitt 87,8 kg Fleisch. Würden diese Menge nur um 20%, also ein Fünftel, sinken, könnte Deutschland so viel CO2 einsparen, dass es einer Stilllegung des Kraftwerks Weißweiler entspricht. (4)

5. Bio ist nicht (viel) besser

Viele der oben genannten Probleme könnten durch eine andere Tierhaltung verringert werden. So werden Tiere nach Ökostandards wohl nicht mit importiertem Soja gefüttert. Ökologische Landwirtschaft ist mit Massentierhaltung schlecht vereinbar, sodass wohl die Menge aller Tiere geringer ausfiele, wodurch der Preis stiege und der Konsum gesenkt würde. Doch an vielen entscheidenden Stellen geht diese Rechnung nicht auf: Die Methan- und Lachgasemissionen jedes einzelnen Rindes bleiben gleich. Zudem erfordert der Biolandbau größere Flächen für die Tierhaltung. Das produziert paradoxerweise noch mehr CO2.

Die konkrete Menge CO2, die ein Kilo Fleisch produziert, mag je nach Berechnung unterschiedlich groß ausfallen. Doch grundlegend ändert sich wenig: Wollen wir unsere Klimabilanz verbessern, müssen wir unseren Fleischkonsum reduzieren – und zwar schnell und massiv.

Wenn Münster also sein Bekenntnis zum  Klimaschutz mit konkreten Maßnahmen untermauern will, könnte der Rat für mehr vegetarische Verpflegung in den Kindertagesstätten, Schulen und öffentlichen Kantinen votieren. Auch die Auszeichnung positiver Beispiele ist eine Option. Sie hat schon beim Fair-Trade-Siegel gut funktioniert, mit dem nun diverse öffentliche Einrichtungen werben. Warum nicht ein von der Verwaltung unterstütztes Programm, das Einrichtungen aller Art Ratschläge an die Hand gibt, wie sie auch durch Verpflegungsangebote den Ausstoß klimaschädlicher Gase reduzieren?